Vandaag is het de dag van de Duitse eenheid. Veel eenheid is er niet. De Oostduitsers zijn tweederangsburgers en hun nieuw verworven ‘vrijheid' heeft ervoor gezorgd dat rechtsextremisten weer hun stem en vuisten konden verheffen. Dé aanwinst voor de Oostduitsers: werkloosheid.
3. Oktober – Tag der deutschen Dummheit
KritischesNetzwerk: "Es kam wie es kommen musste: die Ossis fühlten sich mit dem neuen Phänomen der Arbeitslosigkeit verraten und verkauft. Die Besserwessis fielen wie die Heuschrecken in den Osten ein und wickelten ganze Industrien ab. Ehemalige Flüchtlinge forderten ihre enteigneten Grundstücke zurück und im Westen bürgerte sich das Bild vom "faulen Ossi" ein."
Günter Grass: Ein Schnäppchen namens DDR
“… die Einheit ohne Einigkeit, der ein Datum gesetzt ist. Zum 3. Oktober wurde Glockengeläut angesagt als Ersatz für Freude, die vergangen ist; es sei denn, dem Fernsehen, als Erfinder neuer Wirklichkeit, gelingen einige Jubeleinblendungen. So wird Geschichte gemacht.
Dort, wo jahrzehntelang Schweigen dem sprichwörtlichen Edelmetall gleichwertig zu sein hatte und allenfalls hinter vorgehaltener Hand geklagt wurde, ging das Volk, genauer gesagt, dessen mutiger Teil auf die Straße und sprach auch so, unüberhorbar: „Wir sind das Volk!“
Ein Irrtum, wie sich bald herausstellte, denn ab Ende November letzten Jahres gehörte jenem Teil des Volkes, der vorher geschwiegen hatte, die Straße. Das war der größere Teil. Er rief: „Wir sind ein Volk!“ und ließ, gewalttätig unduldsam wie gelernt, den kleineren Teil nicht mehr zu Wort kommen.
Unterm Strich gerechnet, bleibt immerhin positiv zu bilanzieren, daß es den westdeutschen Handelsketten gelungen ist, ihren Markt zu erweitern, die Gunst der Stunde flächendeckend zu nutzen, das „drüben“ einheimische, ohnehin minderwertige und schlecht verpackte Produkt zu verdrängen und – ohne investieren zu müssen – ein Schnäppchen zu machen, ein Schnäppchen namens DDR.
Wenn anfangs im Fernsehen Freude abgefragt werden konnte und der vielgehörte Ruf „Is ja Wahnsinn!“ dieser Freude knappen Ausdruck gab, herrschen jetzt im Westen Mißmut und im Osten Ängste vor. Gezänk zieht ein im Doppelhaus. Nur noch von zusätzlichen Milliarden ist die Rede. Schon fehlt es an Platz für weitere Leichen im gesamtdeutschen Keller. Das Schnäppchen DDR kommt teuer zu stehen.
Nun liegt das Kind im Brunnen und wird obendrein auch noch gescholten: Selber schuld! Habt ja so gewählt! Wolltet doch unbedingt die D-Mark! Da habt ihr sie!
Schon jetzt ist abzusehen, daß es auf lange Zeit Deutsche erster und zweiter Klasse geben wird. Das neue Unrecht, das auf altem fußt, trifft eine Bevölkerung, die dem anhaltenden Unrecht nach zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft weitere vierzig Jahre lang untertan war.
Und nun sind sie abermals zweitklassig. Anstelle kommunistischer Mangelwirtschaft wird ihnen unter dem Etikett „Soziale Marktwirtschaft“ rüde Ausbeutung geboten. Häßlich sieht diese Einheit aus.
Die deutsche Einheit hat sich der Methode Kahlschlag verschrieben. Wer als Maler, Schriftsteller, Musiker, als Theater- oder Filmregisseur, als Zirkusdirektor, Verlagslektor, Archivar oder Bibliothekar das Wagnis eingeht, ein wenig zu klagen, das Wort Verlust zu flüstern oder gar vor kultureller Kolonisierung zu warnen, der wird als wehleidig gescholten, der linken Spinnerei verdächtigt oder mit Ratschlägen dieser Art versorgt: Ihr müßt da raus aus der Jammerecke. Auf dem freien Markt behauptet sich nur, was sich durchsetzt. Auch in der Kunst zählt Leistung nur. Hat alles seinen Preis. Habt ihr doch gewollt, diese Freiheit – oder?!"